Da sein für Kinder und Jugendliche, wenn es die Eltern nicht können

Der Arbeitsbereich der Vormundschaften und Pflegschaften hat bei der KJF Augsburg eine lange Tradition
Nicole Samberger (rechts) arbeitet als Vormündin bei der KJF Augsburg. Foto: KJF Augsburg / Winfried Karg
27. Januar 2022

Ein zehnjähriger Junge lebt bei seiner schwer psychisch kranken Mutter, die ihn seit Wochen nicht mehr zur Schule gehen lässt, aus Angst ihm könnte außerhalb der Wohnung etwas zustoßen. Alle Versuche von Schule und Polizei, die Mutter über die Schulpflicht aufzuklären, scheiterten. Das Jugendamt wurde eingeschaltet und das Familiengericht entschied, dass die Mutter nicht in der Lage ist, ihrer elterlichen Sorgepflicht nachzukommen und dass der Junge einen Vormund bekommt.

In diesem Fall wurde Sonja Elster mit der Vormundschaft beauftragt. Die Diplom-Sozialpädagogin arbeitet bei der Katholischen Jugendfürsorge der Diözese Augsburg e. V. (KJF Augsburg) im Arbeitsbereich Vormundschaften und Pflegschaften (genaue Begriffserklärungen siehe Info unten). Das bedeutet konkret, sie und ihre Kolleginnen Alexandra Haas, Nicole Samberger und Patricia Wetzel übernehmen die Verantwortung für minderjährige Kinder und Jugendliche, deren Mütter und Väter ihrer elterlichen Fürsorgepflicht nicht nachkommen können. „Wir sind für das Wohl des Kindes zuständig“, bringt Sonja Elster ihre Tätigkeit auf den Punkt. Etwa, weil die leiblichen Eltern gestorben oder schwer krank sind und sich aus der Verwandtschaft niemand um die Kinder kümmern kann. Das sind aber eher Ausnahmefälle.

Viel häufiger ist es so, dass die Kinder in der Regel schon lange dem Jugendamt bekannt sind, bevor die Mitarbeiterinnen der KJF Augsburg vom zuständigen Familiengericht dazu bestellt werden, sich um sie zu kümmern. Die sogenannten Mündel, also die Kinder, die unter Vormundschaft oder Pflegschaft stehen, leben in einer Pflegefamilie oder in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, manchmal aber auch weiterhin in der Herkunftsfamilie. Die leiblichen Eltern bleiben wichtige Partner – auch wenn ihnen das Sorgerecht wegen der Gefährdung des Kindeswohls entzogen wurde – zum Beispiel weil eine schwere psychische Krankheit oder eine Sucht-Erkrankung vorliegt. Auch mit allen weiteren wichtigen Bezugspersonen im Umfeld des Mündels, wie Großeltern, weiteren Verwandten, Lehrern und Erziehern stehen die Vormünder im Austausch.

Langjährige Weggebleiter durch die Höhen und Tiefen des Lebens 

„Pflegeeltern oder Bezugsbetreuer in Wohneinrichtungen werden dann sehr häufig zu emotionalen Eltern für die Kinder und Jugendlichen“, berichtet Sonja Elster. „Wir als Vormund sind also kein Elternersatz, aber wir werden zu wichtigen Bezugspersonen, zu denen eine vertrauensvolle Beziehung entsteht. Wir begleiten die uns anvertrauten Mündel auch langfristig bis zu ihrer Volljährigkeit, auch dann, wenn sie im Verlauf der Jahre aus Augsburg oder der Region wegziehen sollten.“ So bleibt der Vormund eine Konstante, selbst falls die Pflegefamilie oder eine Wohngruppe in einer Einrichtung gewechselt werden muss. Als Wegbegleiter gehen die Mitarbeiterinnen mit ihren Mündeln auch durch schwierige Phasen des Lebens.

Diese langfristige und für die Mündel übrigens kostenfreie Betreuung ist eine Besonderheit bei der KJF Augsburg und äußerst sinnvoll: Viele der Mündel machen sich als Jugendliche oder junge Erwachsene auf die Suche nach ihrer Geschichte und haben dann viele Fragen. Zum Beispiel: Warum sie damals nicht bei ihren leiblichen Eltern bleiben konnten? „Dann ist es ein großer Vorteil, wenn wir sie von Anfang an mit begleitet haben und solche Fragen beantworten können“, erklärt Diplom-Pädagogin Nicole Samberger.

Mit viel fachlicher Erfahrung das Wohl der Mündel im Blick

Insgesamt etwa 100 Mündel jeden Alters von Geburt an bis zur Volljährigkeit betreuen die vier pädagogischen Mitarbeiterinnen der KJF Augsburg derzeit. Aufgrund ihrer fachlichen Erfahrung und speziellen Fort- und Weiterbildungen werden sie von den Jugendämtern der Stadt Augsburg und dem Landkreis Augsburg für Vormundschaften in besonders schwierigen Fällen dem Gericht vorgeschlagen. „Wir als pädagogische Fachkräfte haben per se eine eigene Herangehensweise“, sagt Nicole Samberger. „Unser Fokus liegt auf dem Wohl des Kindes und dem System, also dem sozialen und schulischen Umfeld, in dem das Kind lebt. Ziel unserer Arbeit ist es, immer eine Lösung zu finden, mit der es dem Kind möglichst gut geht.“

Als Vormund treffen die Mitarbeiterinnen zusammen mit ihren Mündeln Entscheidungen zu deren Gesundheit (Zahnbehandlungen, Impfungen, Untersuchen, Operationen), dem Aufenthalt (wo das Kind lebt), dem Umgang mit den leiblichen Eltern (auch bei Trennung und Scheidung) oder der Schulwahl. Sie eröffnen aber zum Beispiel auch Bankkonten oder erledigen mit ihren Mündeln Einkäufe. Auch die Organisation eines eventuellen Umzugs in eine Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe kann dazu gehören. Im Falle einer Pflegschaft betreffen die Entscheidungen jeweils nur einzelne Bereiche. Eines ist dabei immer ganz wichtig: Die Mitsprache, Beteiligung sowie die Vorstellungen und Wünsche des Mündels, da ja alle Entscheidungen zu seinem Wohl und damit auch in seinem Sinne getroffen werden sollen.

In der Regel mindestens einmal im Monat machen Sonja Elster, Nicole Samberger und ihre Kolleginnen Hausbesuche bei ihren jeweiligen Mündeln. In ihrer gewohnten Umgebung erkundigen sie sich dann, wie es den Kindern oder Jugendlichen geht und welche Themen demnächst anstehen. Dabei gibt es immer wieder Phasen, in denen eine intensivere Betreuung und somit deutlich mehr Treffen in kürzeren Abständen notwendig sind, zum Beispiel wenn ein Schulwechsel oder eine Veränderung der Wohnsituation ansteht. „Alles, was wir tun, dokumentieren wir und schreiben für jedes Mündel einmal im Jahr einen Bericht ans Familiengericht, wie sich das Kind entwickelt hat“, sagt Sonja Elster.

Seit der Gründungszeit der KJF Augsburg 1911 zählen die Vormundschaften und Pflegschaften zu den Aufgaben, denen sich das heutige Sozialunternehmen widmet. „Dieses Arbeitsgebiet spiegelt gut die Haltung wider, mit der die KJF Augsburg ihre Aufgaben erfüllt: Kindern und Jugendlichen zu einer guten Entwicklung verhelfen, wenn Eltern ihre Erziehungsaufgaben aktuell nicht wahrnehmen können“, erklärt Susanne Müller, die als Bereichsleiterin diesen Arbeitsbereich verantwortet.

 

Info: Begriffserklärungen

Der Unterschied zwischen Vormundschaft und Pflegschaft besteht im Umfang der Verantwortung. Ein durch das zuständige Amtsgericht bestellter Vormund hat, wie sonst die Eltern, die gesamte elterliche Sorge für sein Mündel inne und entscheidet zum Beispiel über Schulwahl, Aufenthalt, Umgang, medizinische Eingriffe und finanzielle Fragen des ihm anvertrauten Kindes. Wenn Eltern dagegen nicht in der Lage sind, die elterliche Sorge in vollem Umfang wahrzunehmen, werden die betroffenen Teilbereiche in die Verantwortung einer anderen Person übergeben. Das Gesetz nennt diese Person Ergänzungspfleger. Das heißt: Während eine Vormundschaft die gesamte elterliche Sorge und die gesetzliche Vertretung des Kindes oder Jugendlichen umfasst, bedeutet eine Pflegschaft die Vertretung in Teilbereichen.