Lehrer dürfen helfen

Die Kinderklinik Neuburg lud ein … und die Resonanz war riesig!
Große Nachfrage bei der Fortbildung für Lehrkräfte an der Neuburger Kinderklinik. Foto: KJF/Ulli Hamm
27. November 2017

Über 150 Lehrerinnen und Lehrer aus der Region nahmen an einer Fortbildung in der Neuburger Klinik für Kinder und Jugendliche teil. Der Einladung von Privatdozent Dr. Stephan Seeliger, Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche waren über 150 Lehrerinnen und Lehrer der Region gefolgt.

Chronisch kranke Schüler

„Kinder und Jugendliche bringen nicht nur sich mit zum Unterricht, sondern auch ihre chronischen Erkrankungen“ – so formulierte es Dr. Seeliger in seiner Begrüßung. Seine Klinik für Kinder und Jugendliche an den Kliniken St. Elisabeth, einer Einrichtung der KJF Augsburg, bietet mit einem Team von 32 Ärztinnen und Ärzten eine spezialisierte überregionale Versorgung an und ist damit Anlaufstelle für ein Einzugsgebiet von 550.000 Einwohnern.
Neben der Akutmedizin gehören auch die chronischen Erkrankungen zum klinischen Alltag. Und da „rund 15 Prozent aller Kinder in der Bundesrepublik Deutschland an chronischen Krankheiten leiden“, richtete sich der Chefarzt an das Publikum, „ist es nur eine Frage der Zeit, bis ein solches Kind in Ihrer Klasse landet, Sie es auf einem Schulausflug oder ins Schullandheim begleiten“.
Auch wenn die elterliche Sorge ein höchst nachvollziehbarer Grund ist, Lehrer in der Schule mit ins Boot zu nehmen: „Lehrer müssen gar nichts“, erläuterte Oberarzt Uwe Ermer in seinem Vortrag. Allerdings „können sie“ – wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen durch eine Vereinbarung zwischen Lehrkraft, Schulleiter und Eltern konkret gemeinsam fixiert worden sind. Die Rahmenbedingungen für diese freiwillige Übernahme – zum Beispiel von Medikamentengaben wie Asthmaspray oder Notfallspray geben die Länder vor. Auch Bayern hat diesen Spielraum ausgestaltet, da eine allgemeine Dienstpflicht zum Handeln per se nicht besteht. Danach wären beispielsweise medizinische Hilfsmaßnahmen, das Erinnern oder „Herrichten“ von Medikation und Mess-Instrumentarium, das Verabreichen, das Blutzucker-Messen, das Einstellen des Insulinpegels oder das Verabreichen einer subkutanen Injektion Inhalt einer solchen Vereinbarung.
Und die Haftung für das eigene Tun? – Diese Frage drängte sich dem Publikum unwillkürlich auf. Zweifel und Bedenken konnte Dr. Uwe Ermer jedoch mit Blick auf die Gesetzeslage zerstreuen: „Der Versicherungsschutz schützt nicht nur den Schüler, sondern auch den Lehrer, der aktiv wird, wenn es einem chronisch kranken Schüler schlecht geht. Sobald eine entsprechende Vereinbarung zwischen Lehrer, Schulleiter und Eltern des kranken Schülers unterschrieben wurde, greift die Unfallversicherung. In so einem Setting sind nur grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz Kriterien, die eine persönliche Haftung nach sich ziehen. Ich möchte Ihnen deshalb heute auf den Weg mitgeben: Lehrer dürfen helfen, müssen aber nicht. Und: Lehrer sind bei diesem Tun abgesichert.“
Der Asthma-Erkrankung, der Epilepsie und der Anaphylaxie, einer schweren, akuten allergischen Reaktion, die den gesamten Organismus betrifft, widmete Dr. Uwe Ermer einen weiteren Teil seines Vortrags. Dabei gelang es ihm, mit der Vorführung von Hilfsmitteln oder Medikationen wie einem Peakflow-Messgerät zur Bestimmung des Lungenvolumens, einem Asthmapack oder einem Asthmaspray eine Brücke in den Schulalltag zu schlagen. Weitere Handlungsempfehlungen aus dem (Unterrichts-)Leben mit Diabeteskranken rund um das Erkennen der Unterzuckerung, die Blutzuckermessung und die Hilfsmittel der Insulingabe sowie eine allgemeine Einführung in das Krankheitsgeschehen gestalteten diese Exkurse sehr instruktiv und anregend.

Kindesmisshandlung

Mit einem Thema, das leider immer wieder für Fassungslosigkeit und Schlagzeilen sorgt, setzte sich Oberarzt Dr. Florian Wild in seinem Vortrag auseinander: Ärzte und Lehrer eint die Sorge nach der körperlichen und seelischen Unversehrtheit von Kinder und Jugendlichen ebenso wie die tatsächliche Möglichkeit, das Kind beziehungsweise den Jugendlichen in einer Situation der Fürsorge zu erleben. Dabei ein Auge für Auffälligkeiten zu entwickeln und den schmalen Grad des Nachfragens ohne zu verdächtigen und des Beobachtens ohne zu dramatisieren zu gehen – dazu lud der Oberarzt, der Teil der Kinderschutzambulanz an den Kliniken St. Elisabeth ist, die Vortragsteilnehmer ein.
Wie ein Verdacht entsteht, lässt sich laut Dr. Wild an körperlichen Symptomen, auffälligem Verhalten oder den nicht plausiblen, eventuell auch widersprüchlichen Einlassungen zum Unfallgeschehen festmachen. Auch eine Vernachlässigung wäre eine Situation, die die Entwicklung, das seelische beziehungsweise körperliche Wohl des Kindes gefährden würde – und der man deshalb sowohl von ärztlicher als auch von schulischer Seite unbedingt nachgehen müsste. „Sehr wichtig ist in all diesen Fällen eine ausführliche Anamnese und ein strukturiertes Vorgehen“, erläutert der Oberarzt. „Denn es ist immer eine sehr schwierige Situation, die Eltern mit diesen Verdachtsmomenten zu konfrontieren. Oberste Priorität hat dabei immer das Kindswohl und die gedeihliche Entwicklung des jungen Menschen.“

Hilfe für die Seele

Welchen psychischen Belastungen ein Kind oder ein Jugendlicher in seinem Alltag ausgesetzt ist, könne jeder als Erwachsener in unserer schnelllebigen Welt nachvollziehen, begann Dr. Ulrike Wässerle ihren Vortrag. Die Oberärztin arbeitet in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychologie der Kliniken St. Elisabeth. Beispielhaft stellte die Oberärztin aus dem Spektrum der psychischen Störungen drei Krankheitsbilder heraus.
Beim ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom) wäre man mit einem Kind oder Jugendlichen konfrontiert, der das Bild eines „Zappelphilipps“ erfülle. Stillsitzen wäre ebenso undenkbar wie die Fähigkeit, sich zu konzentrieren und zu fokussieren. Drastische Strafen wären im Schulalltag ebenso wenig empfehlenswert wie ein schwankendes erzieherisches Verhalten. Dr. Wässerle rät deshalb zu einer kindzentrierten Lehrer-Aktivität. „Sie können das Kind einbinden, ihm Sinnhaftigkeit vermitteln, ihm Zeit geben. Nutzen Sie seine Kreativität und seinen Teamgeist, indem Sie das Problem gemeinsam auf verschiedenen Wegen lösen. Geben Sie ihm ebenso sprachliche Hilfen wie Verantwortung. Faszinieren Sie es mit einer multimedialen Begleitung des Unterrichtsgeschehens und geben Sie ihm klare, direkte und verbindliche Rückmeldungen – sowohl bei Lob als auch bei angemessener Kritik“.

Bloß keine Schule!

Während das „Schule schwänzen“ ein Fall für die Jugendhilfe ist, stellen Schulangst und Schulphobie behandlungsbedürftige seelische Nöte dar, von denen die Eltern meist wissen – im Gegensatz zum Schule schwänzen. „Bei der Schulangst liegt meist ein direkter Bezug zum Schulalltag vor“, erläuterte Dr. Ulrike Wässerle. „Hier spielen zu hohe Leistungsanforderungen, eine Rolle – oder ein Lehrer, vor dem man sich fürchtet, Mobbing durch Mitschüler sowie andere soziale Ängste.
Bei der Schulphobie geht es meist um Trennungsängste. In so einem Setting riet Dr. Wässerle zur Kontaktaufnahme mit den Eltern und zum Erarbeiten von verstärkenden Plänen für den Schulbesuch. Um auf das Kind zuzugehen und seine Not anzuerkennen, schlug die Oberärztin Handlungsempfehlungen vor, die im Einzelfall in der Schule zum Zuge kommen könnten. Wichtig sei es, frühe Warnsignale wahrzunehmen und an Konzepten zur Konfliktbewältigung mitzuarbeiten. Denn vom ersten Symptom bis zur Behandlung der Schulphobie vergehen durchschnittlich 14,7 Monate – wie eine Studie herausgefunden hat.